Samstag, 29. November 2003
Neues Tübinger Tagblatt 10.7.1933


"Die Hölle auf dem Heuberg"

In der französischen Zeitung "La République" erscheint ein Artikel über die Zustände in dem Konzentrationslager Heuberg, der von Lügen strotzt, die geradezu handgreiflich sind. Man könnte über diesen Blödsinn nur ein bemitleidendes Lächeln übrig haben, wenn er nicht seinem ganzen Inhalt nach dazu angetan wäre, im Ausland eine irrige Meinung über die innerdeutschen Verhältnisse zu verbreiten. Wir geben nachstehend den Greuelbericht der "République" im Wortlaut wieder:

(Bericht eines aus dem Konzentrationslager Entlassenen)

Uns geht ein Brief eines Mannes zu. der unlängst aus dem Konzentrationslager auf dem Heuberg entlassen wurde, wir lassen die darin enthaltenen personellen Angaben mit Absicht fort, um die unglücklichen Menschen, um die es sich handelt, nicht der Rache der Nazi-Bluthunde auszusetzen. Das Geschrei der "ELZ" und anderer Hilterblätter, die vorgeben, dass solche namenlosen Berichte nicht glaubwürdig seien, schert uns nicht. Diesen Hitlerdienern kommt es einzig darauf an, die antifaschistischen Kräfte in Berlin zu denunzieren.

"Ich bin jetzt entlassen worden, weil ich tschechischer Staatsangehöriger bin und weil man mir kein Strafverfahren anhängen konnte... Dafür werde ich des Landes verwiesen. ... auf dem Heuberg. Was in der Nazipresse oder in den gleichgeschalteten Zeitungen steht, ist entweder Schwindel, oder die Leute wagen nicht, die Wahrheit zu berichten. Auf dem Heuberg sind 2500 Gefangene ; wir werden von 500 Sa-Hilfspolizisten und 50 Schupo-Leuten bewacht. Das Lager ist zu klein, und täglich kommen neue Gefangenentransporte. Das Lager ist im weiten Umkreis für jeden Verkehr gesperrt und mit Stacheldraht gesichert. In der Mitte des Lagers steht ein Maschinengewehrturm mit einer ständigen Wache, die jederzeit das gesamte Lager bei Aufruhr oder Meuterei unter Feuer halten kann.

Die Gefangenen werden in drei Klassen eingeteilt. Die erste Klasse sind die Überläufer oder die, die auf dem Wege der "Besserung" befindlich sind. Sie erhalten eine bessere Behandlung. In der zweiten Klasse sind die Funktionäre, denen man nichts Konkretes nachweisen kann. An denen erproben sie ihre nationale Besserungsmethode. Die Behandlung der zweiten Klasse gleich der früheren Gefängnisbehandlung, nur ist die Behandlung strenger, das Essen schlechter und die, politischen Gefangenen früher gewährten, Begünstigungen fallen hier weg. In der dritten Klasse sind die sogenannten "Führer". Dort befinden sich Buchmann, der bayrische Abgeordnete der KPD, Amtsgerichtsrat Dr. Bauer vom Reichsbanner, der Sozialdemokrat ... und der ... Redakteur .... In dieser Klasse ist die Behandlung am schlechtesten, sie ist faktisch auf physische und psychische Vernichtung der Betreffenden eingestellt. Ich habe gesehen, wie der Leiter der früheren marxistischen Arbeiterschule in Stuttgart ... wiederholt in der fürchterlichen Weise in einem besonderen Raum verprügelt wurde, so daß er mit dem Gesicht zur Erde gekehrt ohnmächtig dalag. Ich glaube nicht, das er noch lange diese sich wiederholenden Qualen aushalten wird. Max Hammer, der einen Lungenschuß vom Kriege her hat, ist auch krank. Er hat Lungenhusten. Er schrieb an seine Frau, sie solle ihm die von seinem früheren Arzt dagegen verordneten Tabletten ins Lager schicken. Die Lagerverwaltung hat die Annahme der Tabletten verweigert und sie wieder zurückgeschickt. H. wird wohl das Lager nicht mehr gesund und lebend verlassen. Er sieht furchtbar aus. Die einzige Rettung wäre ein vollkommener Kapitulationsversuch; ob er Rettung für ihn bringen würde, ist auch noch zweifelhaft, weil sie den Leuten in der dritten Klasse nicht trauen. Das Essen ist durchgehend schlecht. Fast alle Leute im Lager sind magen- oder darmkrank. Entlassene müssen sich fast durchweg in ärztliche Behandlung begeben. Zuerst mußten wir aus Tonschüsseln ohne Löffel essen.

Es fehlt am erforderlichen Geschirr. SA-Leute haben unsere Essenschüsseln zur Aufbewahrung von Gewehrfett verwendet. Sie verboten uns, die Schüsseln vor dem Essengebrauch abzuwaschen. daraufhin bin ich zum Arzt zur Beschwerde, was hier schon ein Risiko ist. Darauf durfte ich die Schüssel mit kalten Wasser abwaschen, was natürlich nicht viel nutzte, weil ich das Gewehrfett nicht wegbekam. Eines Nachts mußte ein Kamerad austreten. Er klopfte bei dem diensthabenden SA-Mann. Der war ob der Störung so wütend, daß er uns alle aus dem Raum trieb. Da niemand wußte, was los ist, ging natürlich jeder, wie er auf seinem Lager lag, mit Hemd oder Unterhose. Dieser SA-Mann ließ uns darauf in dieser Bekleidung im strömenden Regen nach echt preußischem Exerzierreglement exerzieren. Darauf war eine ungeheure Erregung.

Die hygienischen Zustände spotten jeder Beschreibung. Die Räume sind viel zu klein. Fünf Schritte vom Fenster muß der Abstand sein, damit wir ja nicht einmal durch das abgeblendete Fenster schauen. Ärztliche Untersuchungen gibt es fast keine. In meinem Raume war ein Mann, der Syphilis im dritten Stadium hatte. Er verheimlichte die Krankheit und konnte dies erfolgreich tun, weil keine laufende ärztliche Untersuchung, auch nicht bei der Einlieferung stattfindet. Nachdem er sich zum Arzt gemeldet hatte, vergingen erneut acht Tage, ehe er aus unserem Lager entfernt wurde. Auf dem Boden befindet sich ein Arrestraum. Dorthin müssen die, die zu nahe ans Fenster getreten sind oder die sich somit eines Verstoßes schuldig gemacht haben. Ohne Kleider und ohne Decken muß der Arrestant auf dem Boden schlafen. Da das Klima auf dem Heuberg sehr rauh ist, bekommt man natürlich leicht eine schwere Erkrankung weg.

Das Bedrückendste ist, daß jede Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten ist, daß Besuch nicht empfangen werden dürfen und daß eine strenge Briefzensur herrscht. Was den Wachhabenden nicht paßt, wird einfach gestrichen. Dann seine Arbeit! Dann beschränkte Freistunde, sie ebenfalls rein militärisch aufgezogen ist.

Wenn du entlassen wirst, dann wird dir noch vorher, wie früher bei den schweren Jungens, das Haar kurz geschoren. XY, der auf Grund einer Kapitulationserklärung entlassen wurde, und sich jetzt täglich zweimal bei der Polizei melden muß, erklärte, daß er sich bei nochmaliger Verhaftung sofort entschlossen das Leben nehmen würde. Das könnte er nicht noch einmal aushalten. Heute könnte er aber auch nicht ein Wort reden, weil auch die kleinste Mitteilung, die den Nazis zu Ohren kommen würde, genügte, um ihm das Schicksal zu bereiten. Er möchte gerne nach dem Ausland. Sieht fürchterlich aus. Könnt ihr ihn nicht heilen... Man sollte doch versuchen, im Ausland eine Protestkundgebung zustande zu bringen... Warum tut man so etwas nicht für uns Arbeiter"

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